Zum elften mal jährt sich dieser Tag, der unser Leben von eine Minute auf die andere verändert hat.

Auch wenn ich die Realität von Saschas Tod akzeptiert habe, ist die Sehnsucht nach ihm geblieben. Sie ist unterschiedlich stark, aber sie ist da, an jedem Tag, in unterschiedlichsten Momenten.

Sehnsucht ist wie ein schlafender Riese, der jeder Zeit wach werden kann und man weiß nicht, ob man ihn schlafen lassen oder lieber wecken soll

(Zitat aus „Sehnsucht" , Wolfgang R.Hantel)

Das Prinzip von Sehnsucht ist jedoch ihre Unerfüllbarkeit, so dass mich nur noch die Gedanken und Erinnerungen an Sascha begleiten. Ich sehn mich nach ihm. Er fehlt mir, besonders wenn die Familie zusammen ist, wie an Geburtstagen, Weihnachten, Ostern usw. Sehnsucht, das ist dieses tiefe innige Verlangen nach etwas, was man sich sehr wünscht oder begehrt. Wird dieses Verlangen nicht erfüllt, ist es mit einem schmerzhaften Gefühl verbunden. Aber eben dieses Sehnen ist wie eine Sucht. Ich kann dieses Gefühl nicht einfach unterdrücken oder mit Ablenkung kompensieren. Die Zeit mildert zwar den Schmerz, aber völlig unvermittelt beherrscht sie dich, diese Sehnsucht. Es gibt keinen Ersatz für den Verlust eines Kindes.

Man weiß, dass die akute Trauer nach solch einem Verlust ablaufen wird, aber man wird ungetröstet bleiben, nie Ersatz finden. Alles, was an seine Stelle rückt, und wenn es sie auch ganz ausfüllen sollte, bleibt doch etwas anderes. Und eigentlich ist es recht so. Das ist die einzige Art, die Liebe fortzusetzen.
(Sigmund Freud)

Eigentlich wollte ich nach zehn Jahren mein Schreiben auf Saschas Seite beenden, aber jetzt habe ich mich doch entschieden für ein vorläufig letztes Mal meine momentanen Gedanken und Gefühle und die des vergangenen Jahres zusammenzufassen, viel ist geschehen. Schon im Januar/Februar 2013 ging es mir gesundheitlich sehr schlecht. Ich schleppte mich wochenlang mit einem mehr oder weniger schlimmen Infekt zur Arbeit und gönnte mir kaum eine Pause. Schließlich kamen andere körperliche Probleme hinzu, die mir zwar Angst machten, die ich aber wochenlang versuchte allein in Griff zu bekommen. Erst im März entschloss ich mich einen Arzt aufzusuchen, um endlich Klarheit zu bekommen, zunächst ohne Erfolg. Erst Eigeninitiative, Arztwechsel und Eingriff beim Facharzt halfen weiter. Neben meiner körperlichen Verfassung, war jedoch inzwischen auch meine psychische Verfassung völlig am Boden und ich war nicht mehr arbeitsfähig. Jahrelang hatte ich nach Saschas Tod funktioniert, aber jetzt hatte mir mein Körper wohl signalisiert, dass eine Pause notwendig sei. Einfühlsame medizinische und therapeutische Hilfe und die Unterstützung der Familie ermöglichten schließlich im Juli einen vorsichtigen Wiedereinstieg ins Arbeitsleben. Inzwischen war auch unser Jüngster ausgezogen. Die Kinder gehen ihre eigenen Wege und wir müssen unser Leben eine neue Struktur geben, eine kleiner Abschied von der gewohnten Elternrolle, in der wir anders gebraucht wurden. Keine tägliche Versorgung mehr. Sicherlich wünschen sich alle Eltern, dass ihre Kinder stark und selbstständig werden. Trotz der neuen Freiheit erleben sie beim Loslassen jedoch Gefühle der Traurigkeit und des Verlustes. Eine neue Lebensphase hatte auch für uns begonnen und vor meinem Kopf hatte das wohl mein Körper bzw. meine Seele schon registriert. War jetzt der Zeitpunkt gekommen sich auf sich selbst und seine Gefühle besinnen zu können und zu dürfen, die Erlaubnis zu haben auch mal schwach zu sein? Langsam geht es bei mir wieder bergauf. Immer wieder muss ich aber feststellen, dass ich auf mich achten muss, da ich mich auf sehr dünnem Eis bewege. Gleichzeitig freue ich mich ja auch unsere Kinder und Enkelkinder so in der Nähe zu haben und genieße jedes Beisammensein. Und plötzlich ist sie wieder da die Erinnerung, der kleine Stachel, der sich in ein kostbares Geschenk verwandelt hat, aber auch Sehnsucht auslöst.

Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer ist die Trennung.
Aber die Dankbarkeit verwandelt die Erinnerung in eine stille Freude.
Man trägt das vergangene Schöne nicht wie einen Stachel, sondern wie ein

kostbares Geschenk in sich.

(Dietrich Bonhoeffer)

So habe ich gleich zu Beginn diesen Jahres intensiv Kinderfotos angeschaut, um eine Collage für Niklas 25ten Geburtstag am 11.Januar zusammen zu stellen. Das waren sehr emotionale Stunden, schön und traurig zugleich. Eben diese beiden Gefühle werden für den Rest meines Lebens weiterhin oft dicht beieinander liegen. Freudige schöne Momente gepaart mit ein paar traurigen Gedanken werden mich auch dieses Jahr besonders begleiten, etwa bei Mirko und Natalies Hochzeit im Mai oder den Studienabschlüssen von Tanja und Niklas. So ist das eben mit der Trauer, die zu meinem Leben gehört. Am Samstag habe ich einen, wie ich finde, sehr treffenden Text in einer Todesanzeige gesehen:

Trauer ist wie eine zugelaufene Katze. Sie begleitet einen die ganze Zeit, sie ist immer da. Manchmal merkt man sie nicht. Dann kommt sie angelaufen, auf ganz leisen Sohlen und legt sich bei einem auf den Schoss. Dann ist es besser, sie zu streicheln, mit ihr zu leben. Irgendwann gehört sie dann eben dazu, wie alles andere auch."

(Zitat aus Polizeiruf 110)

Meine Sehnsucht gehört zu meinem Leben. Sascha du fehlst mir so, deine Stimme, dein Lachen, deine Mimik und Gestik einfach deine Eigenart.